Der Kurs in meinem Garten

Worauf wir stehen

Ein Beitrag von Hans Fuchs

 

„Es geht auch ohne Kuh“ ist der Leitgedanke dieser Beitragsreihe. Angestoßen wurde er durch Rudolf Steiners Betrachtungen zu einkeim- und zweikeimblättrigen Pflanzen. Unstrittig jedoch ist die Bedeutung des Rinderdungs für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und so kreisen die Gedanken um eine viehlose Bodenpflege zum Erhalt oder gar Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit  und um die Herausforderung, den Kurs nach Anregungen zu einer Bodenpflege eben ohne Kuh, gleichsam „hausgartenkompatibel“ zu lesen.

 

Eine Anregung, nämlich Pflanzengemeinschaften genauer zu betrachten, stellte ich bereits vor. Eine weitere liegt in der Bodenpflege im Jahresverlauf verborgen. Genauer: Im Abmildern der Gegensätze zwischen kälteren und feuchteren sowie  wärmeren und trockeneren Jahreszeiten… 

 

 

Im vierten Vortrag wird „Schwarzerde“ als ein Beispiel für einen genügend mit organischer Substanz angereicherten Boden angeführt (Seite 105, Zeile 5 bis 13). Doch was ist „Schwarzerde“ und welche Anregungen hält sie für den Umgang mit dem eigenen Gartenboden bereit?

 

Mit Schwarzerde, auch Tschernosem genannt, ist eine Abfolge dunkler, tiefgründiger Bodenschichten gemeint, die im Vergleich zu anderen Bodenschichtabfolgen verhältnismäßig reich an organischer Subtanz im  Bodengemisch der einzelnen Schichtung ist.

 

Wie andere Bodentypen (Fachausdruck für eine bestimmte Bodensichtabfolge) auch, entstand Schwarzerde in einem sich über Jahrtausende hinziehenden Zeitraum. Genug Zeit für Kleintiere noch lebende oder bereits abgestobene Pflanzenteile in den Boden einzutragen (Bioturbation) oder für umherziehende Wiederkäuerherden Gräser und Kräuter zu verbeißen, mit ihren Hufen in die Krume einzutreten  und mit ihrem Dung das Bodenleben anzuregen. Das Wetter (Niederschläge, Blitzschlag mit anschließendem Flächenbrand, Trockenheit) und der Lauf der Jahreszeiten  trugen ihren Anteil zur Entwicklung der Schwarzerde bei. 

 

Schwarzerden setzen sich eher aus tonigen (verklebenden) und schluffigen (mehligen) Korngrößen zusammen, als aus dem gröberen Sand und so sind es diese feineren Bestandteile des Mineralbodens, die die organische Substanz, Pflanzennährstoffe und Feuchtigkeit im Bodengemisch binden, diese Erde besonders fruchtbar werden lassen und letztlich zu ihrem dunklen, namengebenden  Aussehen beitragen.

 

 

Bioturbation, soweit sie auf Kaninchen, Maulwurf oder Wühlmaus zurückgeht, ist im Hausgarten nicht gern gesehen. Anderes gilt hingegen für den Regenwurm und all den anderen tierischen Helfern im Boden. Hier ist es in Anlehnung an die Entstehungsgeschichte der Schwarzerde angebracht, über Gründüngung, Mulch, Zwischenfrüchte und die Gemüsekultur (Schattengare), günstige Lebensbedingungen für die bodenbürtige Tierwelt zu schaffen. Wichtig auch, auf eine beständige Bodenfeuchte durch Gießen zu achten, denn nur so können sich im Boden die nötigen Schritte zum Abbau organischer Substanz und ihr anschließender Verbau mit dem mineralischen Boden einstellen (gut auf diesen Werdegang vorbereitet ist natürlich Komposterde). 

 

Gerade weil Bioturbation durch Kaninchen, Maulwurf und Wühlmaus im Hausgarten nicht erwünscht ist, sollte sie von Zeit zu Zeit  durch Lockern oder auch Umgraben der Gemüsebeete nachgeholt werden. Ähnliches gilt für den fehlenden Dungeintrag durch Wiederkäuer - hier treten stickstoffsammelnde Gemüse, Leguminosen in Gründünger- oder Zwischenfruchtmischungen wie auch Pflanzenjauchen und  Komposte an seine Stelle.

 

Auf eher sandigen Böden (die „Fingerprobe“ ist behilflich, wenn es darum geht, die Körnung des Bodens, auf dem man steht, zu bestimmen) ist es ratsam Komposte mit kleinen Tonstaub- oder Gesteinsmehlgaben anzureichern, damit es auf den Beeten letztlich nicht an jenem „Kleber“ mangelt, der organische mit mineralischer Bodensubstanz verbindet.

 

 

Beachtenswert auch, was sonst noch eine Schwarzerde ausmacht, nämlich ihr Entstehen  und Sein in einem Klima aus feuchtem und kühlem Winter verbunden mit einem trockenen und warmen Sommer, in dessen Folge es letztlich nur in den feuchten Jahreszeiten zur Schwarzerdenbildung kommt. 

 

Anders hingegen die Geschehnisse im Hausgarten: Mulchen und Gießen im Sommerhalbjahr nehmen hier die Spannung aus dem Wechsel von feuchte auf trockene Jahreszeiten. Bodenbildung  ereignet sich gleichsam ganzjährig und  so verwundert es denn auch nicht, dass „Hortisole“, so die bodenkundliche Bezeichnung für durch Menschenhand geschaffene Schwarzerden, bereits in Jahrhunderten entstehen. Die Verschiebung des Schwerpunktes von einkeimblättrigen Pflanzen in der Landwirtschaft zu den zweikeimblättrigen im Gemüsegarten findet ihr erdiges Abbild im Tschernosem (Landwirtschaft) und Hortisol (Garten)… 

 

 

Festzuhalten bleibt: Mit Augenmaß gehandhabt eröffnet das „Gestaltungsprinzip Schwarzerde“ einen segensreichen Umgang mit den Böden in unseren Hausgärten auch ohne Kuh. Doch gerade ihre Abwesenheit ist es, die einen pfleglichen Umgang mit Boden und Pflanze abverlangt und so sei zu guter Letzt ein Hinweis aus dem zweiten Vortrag (Seite 59, Zeile 26 bis Seite 60, Zeile 30) aufgegriffen:

 

Zur Winterszeit durchlaufen nach Rudolf Steiner Bodenkrume, ihr Unterboden, das ihm folgende, bodenbildende Ausgangsgestein und die anschließenden Gesteinsschichtungen eine Phase universeller Durchdringung. Die Pflanzenwelt wiederum ist für diese Durchdringung besonders in den Wintermonaten November und Dezember empfänglich. Liegt es da nicht auf der Hand, es neben Zwischenfrüchten mit Herbstaussaaten (Wurzelgemüse) oder Herbstauspflanzungen („Adventskohl“) zu versuchen, wie in älterer Gartenliteratur  hier und da beschrieben?

 

Sich der Tiefe seines bearbeiteten Bodens zuzuwenden erschien Rudolf Steiner wichtig. Für ihn war Bodenpflege der Einstieg in eine „geologische Individualität“, doch wer hat schon eine Vorstellung von der Geologie seines Hausgartens, wo doch bereits die Krume voller Überraschungen steckt (siehe hierzu auch „Humus und Licht“ von Hans Vereijken, LE 3/2016, Seite 6 und 7)? 

 

An anderer Stelle (Seite 104, Zeile 3 bis 14) verweist Rudolf Steiner noch auf die  für die Pflanze belebenden Eigenschaften aufgeschütteter Erdhaufen. Förderlich hierbei erschien ihm ein Gemisch aus mineralischen und humosen Erden. Wer mag, kann aus diesen Zeilen eine Anregung zur Dammkultur entnehmen. Dämme zu Kartoffeln oder bei fehlender Tiefgründigkeit der Krume zu Wurzelgemüse sind im Hausgarten bereits vertraute Arbeiten. Hier käme der Aspekt der Pflanzengesundheit (Blattsalate oder Erdbeeren auf Dämme, damit in regenreichen Sommern ihre Unterblätter nicht beständig auf nasser Erde liegen und die  Gefahr einer pilzeichen Erkrankung mit anschließendem Ernteausfall steigt) und eines gleichmäßigeren Wachstums (Dämme erwärmen sich nach einem Kälteeinbruch wieder schneller, als eine Fläche) hinzu.

 

Die Feststellung klingt banal, ist aber von großer Tragweite: Die Vielfalt des Aufwuchses auf den Beeten und die durchgeführten  Pflegearbeiten in den Kulturen finden zunächst in der Krume und zeitverzögert auch im Unterboden ihren Niederschlag. Im Boden bildet sich  ein ihm gemäßes  Langzeitgedächtnis aus. Er ist Archiv, wie die Kurzbeschreibungen zur Schwarzerde und zum Hortisol zeigen. Was in einem Archiv abgelegt wird, entscheidet der Archivar. Ganz so selbstbestimmt treten wir HausgärtnerInnen natürlich nicht auf, sind wir doch Teil eines übergeordneten Zusammenhangs. Gestaltungsräume eröffnen sich uns sehr wohl und die gilt es, wie bereits dargelegt, aufmerksam auszufüllen.

 

Nicht nur der Gartenboden, auch der Garten selbst ist ein Ort der Erinnerung, wobei dieses Archiv nicht im Boden, sondern im Menschen ruht.

 

Es ist die im Jahresverlauf miterlebte Blütenpracht, ein von Düften umwehter Farbenrausch. Vielfältige, anregende wie auch abstoßende Blattformen, die zum Verweilen einladen, aber auch zum schnellen Schritt an ihnen vorbei anstacheln. Ausladende Pflanzengestalten und wieder andere, die sich erst nach einem zweiten Blick zu erkennen geben. All diese Eindrücke harren im Gedächtnis bis zu dem Augenblick, in dem sie sich in winterlicher Erinnerung  zu neuer Pracht entfalten und das Gemüt erheitern, zum Malen, Dichten oder Träumen einladen und irgendwie auf gewundenen Pfaden in unbestimmte Ideen einmünden auf dem Wege zu neuen Taten: Nach langem Wägen einen Anbauplan für das kommende Jahr zu Papier bringen, Saatgut bestellen oder tauschen, Beete in der dunklen Jahreszeit bedeckt halten, Bäume, Büsche und Sträucher beschneiden - das ist es, worauf wir stehen, diese einzigartige Symbiose von oberhalb und unterhalb der Erdkruste, ein Miteinander von Untergrund, Bodenkrume, Pflanze, Tier, Mensch, Luft, Sonne, Mond und Sterne, die einen Garten zu dem machen, was er ist. 

 

12/2016